9. Dezember 2024

Wir fühlen uns eher bereichert – Interview

Nachdem wir mit Krankenschwester Christine über ihre Erfahrung mit der Aufnahme ukrainischer Geflüchteter gesprochen haben konnten wir nun mit Daniela sprechen, eine Dallgowerin, die ebenfalls eine geflüchtete Frau bei sich aufgenommen hat.
Seit dem Interview mit Christine ist ein Monat vergangen und in diesem Monat hat sich sowohl der Krieg selbst auch als die Region verändert, in der er stattfindet. Wir haben von der Ermordung von Zivilisten erfahren, von der Zerstörung ganzer Städte und der Verlagerung des Krieges in den Osten der Ukraine. Oft wird nun von einer Stadt gesprochen, aus der die geflüchtete Frau von Daniela stammt: Charkiv.

Hallo Daniela, vielen Dank für das Interview.
Du hast eine ukrainische Frau bei dir aufgenommen. Was ist in der Zeit von Kriegsbeginn bis zur Aufnahme der Geflüchteten geschehen?

Wir waren entsetzt und bestürzt. Es gibt viele Orte, an denen Krieg herrscht, aber leider blendet man das aus, sobald es nicht mehr sooo präsent in den Nachrichten ist, denn es ist weit weg. Wir waren erst im letzten Jahr in Rumänien, an der Grenze zur Ukraine. Dieser Krieg ist näher als alle anderen, das macht es greifbarer. Für uns stand schnell fest, dass wir wieder helfen möchten.
Wir haben 2015 schon versucht, Menschen aufzunehmen, sind aber an der Bürokratie gescheitert. So wurde daraus “nur” ein wenig Hilfe in den Willkommensgruppen und dem Flüchtlingsheim. Damals gab es hohe Hürden und wir hätten einfach jemanden zugeteilt bekommen, ohne Mitspracherecht. Da ich zu dieser Zeit mit zwei kleinen Kindern allein zu Hause war, kam das nicht in Frage.
Dieses Mal war alles einfacher. Das Büro meines Mannes, welches gleichzeitig unser Gästezimmer ist, wurde von seinen Sachen befreit und war so schnell bereit, um jemanden aufzunehmen. Als wir in den Nachrichten gehört haben, dass so viele Menschen in Berlin am Bahnhof stranden, vor allem Frauen und Kinder, sind wir mehrfach hingefahren, um direkt Hilfe zu leisten. Das hat allerdings nicht geklappt. Die meisten wollten weiter, es gab Verständigungsprobleme, es waren zu viele Personen für ein Zimmer usw. Gleichzeitig haben wir uns bei #Unterkunft Ukraine angemeldet, uns in verschiedenen Hilfsgruppen bei Facebook und Telegram vernetzt und unsere Nummer am Bahnhof und ZOB hinterlassen. So kamen auch mehrere Anfragen zustande, aus denen aber wiederum nichts wurde.
Schließlich las ich eine Anfrage auf Facebook, in der Dallgow-Gruppe. Dort hatte jemand schon zwei Schwestern aufgenommen, die Mutter sollte hinterherkommen. Für diese wurde eine Unterkunft gesucht. Die Gastfamilie wohnt nur wenige Straßen weiter und so kamen wir schnell zusammen. Wir haben erst per Messenger geschrieben, dann telefoniert und uns schließlich persönlich kennen gelernt. Wenige Tage später (Anfang März) haben wir mit den Schwestern zusammen die Mutter vom Bahnhof abgeholt. Sie war mehrere Tage in überfüllten Zügen unterwegs gewesen. Der Zug hatte mehrere Stunden Verspätung und alles war sehr aufregend. Aber schließlich haben wir sie und ihren winzigen Yorkshire-Terrier gefunden und nach Hause gebracht.

Wen hast du dann kennengelernt?
Nun lebt seit fast zwei Monaten eine sehr ruhige, freundliche, nette, unkomplizierte Frau in unserem Alter – bzw. wenige Jahre älter, in den 40igern – mit ihrem Hund bei uns. Sie kommt aus Charkiv, wo sie Haus und Hof hat. Ihre beiden erwachsenen Zwillingtöchter, die bei uns in der Nähe wohnen, kommen aus Kiew. Den Vater und den großen Hofhund mussten sie zurücklassen. Sie telefoniert täglich mit ihrem Mann und wir sind alle sehr froh, dass es ihm bisher soweit gut geht.
Unsere Gästin kocht sehr gerne und gut – vor allem Suppen, Kohlrouladen und Reispfannen. Den Haushalt teilen wir uns. Sie wischt am liebsten, daher übernimmt sie diese Aufgabe. Den Rest machen wir – wir machen zu viert ja auch am meisten Dreck.
Sie ist Schneiderin. Nach kurzer Zeit habe ich ihr alle unsere angesammelten Näharbeiten überlassen. Auch wenn es mir etwas schwer fällt, weil ich das Gefühl habe, ich beute sie aus, lasse ich sie das machen. Sie möchte unbedingt etwas tun und uns Arbeit abnehmen. Ich habe das Gefühl, dass sie etwas zurückgeben möchte und sich damit besser fühlt. Ich habe ihr meine Nähmaschine überlassen und noch eine Overlock dazu besorgt. Wenn sie nicht im Deutschkurs ist, repariert und näht sie tolle Sachen für alle, die eine Idee haben – allen voran meine Tochter. Für mich hat sie schon eine Bluse und ein Kleid genäht. Dafür bekommt sie natürlich auch etwas, denn umsonst möchte ich sie das nicht machen lassen.

Wie war das, eine für dich fremde Frau in dein Haus zu lassen? Wir sind grundsätzlich sehr offen und tolerant. Außerdem ist das eine Notsituation, in der wir unsere Befindlichkeiten hintenanstellen. Schwierig wären für uns Raucher gewesen, aber auch das hätte man irgendwie hinbekommen. Aber nachdem wir die Schwestern kennengelernt haben, hatten wir keine Sorgen, dass wir nicht miteinander klarkommen.

Wie hält sie Kontakt in die Ukraine?
Über Telefon, sie hat an der deutschen Grenze eine kostenlose SIM-Karte bekommen.

Wie klappt die Verständigung zwischen euch? Sprecht ihr eine gemeinsame Sprache?
Google Translater oder die Schwestern übersetzen, diese sprechen sehr gut Englisch.
Die Mütterebene braucht oft keine Sprache, da verstehen wir uns auch ohne Worte, auch wenn ihre schon erwachsen sind.

Hast du das Gefühl, dass der Krieg durch die Unterbringung näher an dich herangekommen ist?
Ein wenig, wir haben über die Vorwürfe der Russen gesprochen. Unsere Gästin hat einen Bruder in Russland, der bis heute nicht glaubt, dass sie und ihre Kinder wirklich vor Krieg geflohen sind. Zudem fragen wir natürlich ab und zu, ob es in ihrer Heimat etwas Neues gibt, wie es ihrem Mann geht und ob ihr zu Hause noch unversehrt ist. Aber nicht jeden Tag, meist versuchen wir einen Alltag zu schaffen und mit ihr “normal” zu leben. Aber durch diese Informationen aus erster Hand ist der Krieg natürlich irgendwie näher.

Ist das als Übergangslösung gedacht oder planst du eine längere Unterbringung?
Solange wie nötig, wir gehen davon aus, dass unsere Gästin wieder zu ihrem Mann zurück gehen wird, wenn der Krieg vorbei ist.

Wie ist der Alltag für euch?
Normal 😊
Wir arbeiten und machen alles wie bisher. Oft freuen wir uns, dass wir nicht kochen müssen – besonders die Kinder lieben ihre Suppen. Und auch unser Hund freut sich, dass sie weniger alleine sein muss. Als wir Corona hatten, war sie die Einzige, die gesund geblieben ist. Sie hat sich manchmal um die Kinder gekümmert und Tee und Suppe gemacht, das war eine große Hilfe. Allgemein müssen wir aufpassen, dass sie nicht zu viel macht vor lauter Hilfsbereitschaft. Meine Tochter hat sie und besonders ihren kleinen Hund sehr ins Herz geschlossen. Manchmal spielen wir abends zusammen. Wir bringen ihr deutsche Kartenspiele bei und sie revanchiert sich mit ukrainischen. Aber wir lassen uns auch genügend Freiräume, so dass wir uns überhaupt nicht eingeschränkt, sondern eher bereichert fühlen.

Entstehen euch durch die Unterbringung Kosten?
Wir kaufen für sie mit ein, dass ist das Einzige. Das bisschen Strom und Wasser mehr ist aus unserer Sicht vernachlässigbar. Wir haben Nebenkostenhilfe beantragt, das hilft.

Wie erleben Mutter und Töchter Dallgow?
Sie sind die Großstadt gewohnt, fahren häufig nach Berlin rein. Aber nach und nach machen wir ihnen auch die Natur hier schmackhaft.

Haben andere Dallgower euch geholfen?
Eine Nachbarin hat Kleidung gebracht, eine andere Muffins. Eine weitere hat Stoffreste gespendet (daraus wurden tolle Taschen für den Friedensmarkt). Dank geht auch an die Tanzschule Thamm, die den Schwestern – sie sind Tanztrainerinnen – kostenlos Training ermöglicht. Wir sind wunderbar versorgt.

Haben sie bereits Arbeit in Deutschland? Oder suchen sie? Vielleicht hat einer unserer Leser einen Job zu vergeben.
Arbeit wäre großartig, aber noch macht die Sprache Schwierigkeiten. Die meisten Jobs, die ich bisher als Schneiderin angefragt habe, hatten Kundenkontakt, ohne Deutsch oder wenigstens Englisch wird das leider nichts. Die Schwestern haben Kontakte und Freunde in Berlin und dort bereits erste Arbeitsangebote. Die Ausländerbehörde hat hier sehr unkompliziert und schnell geholfen und innerhalb kürzester Zeit vorläufige Arbeitsbescheinigungen ausgestellt.

Wie ist dein Eindruck von Gesellschaft und Politik? Läuft es gut oder müsste anders agiert werden?
Es läuft wesentlich besser als 2015! Die Ausländerbehörde ist sehr hilfsbereit und die ersten Schritte gingen auch recht flott. Jetzt dauert es etwas, aber was benötigt wird, passiert und es klappt alles sehr gut. Nervig war anfangs, dass sich alles schnell geändert hat. Was man Montag noch machen sollte, war Mittwoch schon wieder falsch. Aber auch das geht inzwischen.

*Wenn andere Dallgower helfen wollen, was kannst du ihnen empfehlen?
Habt Mut, schließt euch unserem Netzwerk an und helft, wenn ihr könnt – aber auch nur soviel ihr könnt. Denn unterschätzen sollte man es auch nicht. Wir wissen alle nicht, wie lange dieser Krieg noch dauert. Man muss sich schon Zeit nehmen, für Behördengänge, Formulare, Sprachbarrieren… Und man sollte offen für andere Menschen und eine andere Kultur sein. Jeder hat seine Art zu leben und alle haben ihre Berechtigung.

Vielen Dank für das Gespräch

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